Vernissage: Freitag, 22. Januar 2010 – 19 Uhr
Einführung: Dr. Hasko Schneider
Ausstellungsdauer: 23. Januar bis 10. Februar 2010

Galerie Michael Nolte
Spiekerhof 44
48143 Münster
Tel 0251 44809   www.nolteart.com
Öffnungszeiten: Mo-Fr 10.30-18.00, Sa 11.00-18.00

 

In den Fotografien von Jürgen Klück taucht der atemberaubende Moment zwischen dem Erscheinen und Verschwinden der Dinge wie eine Emanation aus einem Farben- und Lichtmeer auf. Die abgelichtete Realität befindet sich in einem spannungsreichen und äußerst vitalen Schwebezustand zwischen dem Einst und dem Jetzt, zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart. Dabei erscheint die Zeit gewissermaßen bis ins Unendliche gedehnt. Durch die gezielte Bewegung der Kamera zerfließt und spaltet sie sich in eine sequenzartige Auffächelung der Dinge auf, in denen die verschiedenen Bewegungsrichtungen ein eigenes, von der Realität völlig autonomes Gegenbild entwerfen.

Jürgen Klück, der 1952 in Selm geboren wurde und seit 1979 in Münster tätig ist, beschäftigt sich in seiner Fotokunst mit dem Menschen und ihrem urbanen Lebensraum. Das Warten auf die Vaporetti – den Wasserbussen von Venedig –, das muntere Beieinandersitzen in den Kaffees, das Flanieren auf der Promenade gehören zu den Geschichten, mit denen er sich in seinen Fotografien auf einmalige und ganz unkonventionelle Weise beschäftigt. Dabei konzentriert sich die Ausstellung vor allem auf seine beiden Werkzyklen aus Venedig und Südfrankreich.

Während Jürgen Klück Venedig fast ausschließlich bei Nacht fotografierte, erstrahlt der Süden Frankreichs unter der farbenfrohen mittäglichen Sonne. So materialisiert sich Venedig aus der nächtlichen Dunkelheit in einem diffusen Licht, wobei das Aufeinandertreffen von Architektur und Wasser eine geradezu träumerische Wirkung erzeugt. Der Markusplatz in Venedig erscheint in fast kristalliner Transparenz mannigfach gespiegelt. Bei Vollmond wird in der Stadt das Wasser aus der Lagune durch die Kanalisation auf den Platz gedrückt. Durch dieses Naturphänomen erzielt Klück in seinen Fotografien vom Markusplatz mit seiner Aufnahmetechnik diese fantastische, fast transzendente Wirkung. Im Gegensatz dazu werden die Fotografien aus Südfrankreich von kräftiger, glühender Farbigkeit geprägt, deren flirrender Effekt eine pulsierende Dynamik bewirkt.

Die Grenze des Erkennbaren manifestiert sich in den verschiedenen Arbeiten in unterschiedlichen Graden. Dabei bewegt Jürgen Klück die Kamera während Langzeitbelichtungen von bis zu 30 Sekunden. Die Kamera wird gewissermaßen zum Pinsel, der die Bewegung des Objektivs – geführt nach dem Willen des Fotografen – als Farb- und Lichtschlieren sichtbar macht. Das Ergebnis sind Abbildungen, die sich mehr oder weniger weit von der sichtbaren Welt entfernen. Dadurch werden seine Fotografien von einer meist verwischt wirkenden Unschärfe charakterisiert, die den Realismus des Motivs verfremdet und in eine Art Abstraktionsprozess gleichsam entmaterialisiert.

Einerseits macht Klück mit diesem künstlerischen Konzept Handlungsabläufe sichtbar, die ansonsten nicht wahrgenommen werden, andererseits greift er durch seine Bewegung der Kamera aktiv und interpretierend in die Realität ein. Wie in einer Zeitmaschine durchreist der Betrachter die Phasen der Vergangenheit. Doch verläuft seine Reise nicht kontinuierlich vom Zeitpunkt der Gegenwart an rückwärts, sondern sie öffnet in der Simultanität der festgehaltenen Situationen unendlich miteinander korrespondierende Verknüpfungsmöglichkeiten. So lassen sich die zu verschiedenen Orten und verschiedenen Zeiten stattgefundenen Ereignisse immer wieder neu miteinander in Beziehung setzen.

Die Fotografien von Jürgen Klück visualisieren in einzigartiger Weise eine selbständige und faszinierende Sphäre, in der die reale Welt sich durch ein Prisma aus Zeit, Raum und Bewegung manifestiert. Zeit und Raum vereinen sich – gleichsam als Bild gewordene Relativitätstheorie – zu einer neuen Raum-Zeit-Dimension. In dieser Sequenz »Zwischen der Zeit« entfaltet sich eine enorme schöpferische Ambivalenz, die sich in dem breiten Spektrum zwischen Erkennen, assoziativen Sehen und reiner Fantasie bewegt.

Dr. Dagmar Thesing